Melanie Oesch: «Hey Hallo, sei dankbar!»

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Melanie Oesch
Melanie Oesch

Mit ihrem leichtfüssigen Gesang und ihrer Ausstrahlung erobert Melanie Oesch ihr Publikum jeweils im Flug. Die 33-jährige Berner Oberländerin liebt den Auftritt, geniesst aber auch die Ruhe im Kreis ihrer Familie in der Oberlangenegg. Worauf setzt sie ihre Hoffnungen? Welche Werte sind für sie zentral? Und wie organisiert sie Karriere und Familienleben? «Hope»-Re- daktor Florian Wüthrich traf sie im Bären Schwarzenegg zum Gespräch.

Melanie Oesch, Sie sind eine moderne Frau mitten in einer bodenständigen Szene. Damit brechen Sie Klischees auf. Tun Sie das bewusst oder hat sich das so entwickelt?
Das bin einfach ich. Ich verfolge keinen Plan, keine Strategie. Das Gegensätzliche ist tatsächlich meine Welt, Kontrast gehört zu mir. Wenn’s ums Jodeln geht, werde ich dafür auch ab und zu kritisiert. Seitens der Verbände gibt es bezüglich des Jodelns viele Regeln, aber ich brauche meine Freiheit. Ich will niemandem auf die Füsse treten und bin deshalb auch nirgends Mitglied. Ich sehe darin auch Chancen, weil durch meine Art zu jodeln auch andere Zugang zur Volksmusik finden.

Was heisst für Sie, echt und authentisch zu sein?
Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl, mein Herz. Dadurch, dass ich schon sehr lange singe, kann ich mich gut auf mich verlassen. Ich habe einen engen Bezug zu meinem Körper, höre auf seine Signale und kann dadurch auch ganz tiefe Emotionen transportieren. Jodeln ist für mich wie eine Sprache geworden. Wenn ich mit Worten nicht weiterkomme, greife ich zum Jodel. Ich jodle also nicht nur, weil es mir Spass macht, sondern auch, um Dinge zu verarbeiten. Entsprechend ist nicht immer wichtig, ob ich richtig oder falsch, schön oder nicht schön jodle, sondern ob das Gesungene jemanden berührt. Ich weiss, das klingt fast etwas esoterisch. Ein Jodel beruht zwar nur auf Silben – und trotzdem stecken so viele Botschaften drin.

Sie geben sehr viel Persönliches, ja schon fast Intimes preis. Fällt es Ihnen nicht schwer, sich darauf einzulassen?

Es kostet manchmal schon Überwindung. Aber Musik machen bedeutet Emotionen teilen. Wenn ich also gerade keine überschwänglichen Gefühle habe, dann ist mir das Publikum oft eine Hilfe. Du gehst auf die Bühne und siehst da vielleicht 1’000 Leute, die feiern wollen. Das willst du nicht ruinieren! Und dann spürst du diese Schwingungen des Publikums und versuchst, deine Gefühle zu synchronisieren, wie wenn man die gleiche Frequenz einstellt. Das funktioniert erstaunlich gut. Nach ein paar Songs weisst du gar nicht mehr, wie du dich vorher gefühlt hast. Klar, man muss es zulassen und sich öffnen. Ich denke, das ist oft der Schlüssel, weshalb jemand, der nicht perfekt singt oder ein Instrument spielt, trotzdem viele Herzen berühren kann. Es geht viel über das Gefühl und die Leidenschaft.

«Ich jodle nicht nur, weil es mir Spass macht, sondern auch, um Dinge zu verarbeiten.»

Ein gutes Stichwort… Was heisst für Sie, leidenschaftlich zu leben?
Alles geben und aufs Ganze gehen. Ich liebe es, zu zelebrieren, was ich gerne mache. Das gilt für uns als ganze Familie – also auch als «Oesch’s die Dritten»: Wenn wir etwas machen, dann Vollgas.

Cover Oesch’s die Dritten «Die Reise geht weiter»

Welche Werte möchtet ihr als «Oesch’s die Dritten» mit eurer Musik vermitteln?
Der Zusammenhalt über die Generationen hinweg ist ein zentraler Wert, den wir verkörpern möchten. Wir treffen Entscheidungen als Team, als ganze Band, auch wenn sehr unterschiedliche Ansichten zusammenkommen. Manchmal sind die Entscheidungen mehr auf die junge Generation gemünzt, ein andermal kommen wir zum Beispiel eher meinem Vater entgegen. Bei uns herrscht nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, aber wir haben erfahren: Wenn man will, kommt man immer zusammen und findet einen Weg. Respekt und Bodenständigkeit sind ebenfalls sehr wichtige Werte für uns Innerhalb der Familie ist es oft besonders schwierig, respektvoll zu bleiben, weil man sich so nah ist. Aber auch im Kontakt mit Veranstaltern und Fans kommt man schon mal an seine Grenzen, wenn man nach zwei Stunden am Fan-Stand merkt, wie sich die Batterien langsam leeren. Da muss man sich auch abgrenzen und die Ressourcen gut einteilen können.

«Das Berner Oberland ist für mich der schönste Fleck Erde. Die Verschiedenheit der Umgebung, diese verspielten Täler und Hügelzüge und dann dahinter die Berge. Alles ist so vollkommen!»

Wie fühlen sich «Oesch’s die Dritten» in der Schweizer Musikszene als volkstümliche Band akzeptiert und integriert?
Wir fühlen uns sehr eng verbunden, auch mit Künstlern, die für einen ganz anderen Musikstil stehen als wir. Dies kommt wohl daher, dass wir sehr offen sind. Zudem sind wir an Festivals oft der einzige Volksmusik- Act im Line-up. So kommt es auch zu Begegnungen und zu einem Austausch.

Ihr pflegt eine breite Palette an musikalischen Stilrichtungen. Da kommt auch mal ein Country-Song oder eine Ballade wie «Wenn du einmal traurig bist» vor…
Das stimmt. «Wenn du einmal traurig bist» ist wohl die beliebteste Ballade in unserem Repertoire. Wir wollen auch diesen Gefühlslagen Raum geben. Denn es gibt Leute, denen es nicht gut geht, wenn sie an ein Konzert kommen. Sie haben vielleicht den Verlust eines geliebten Menschen oder andere private Rückschläge zu verarbeiten. Das kennen wir in unserem Leben ja auch. Wir versuchen einfach, dies in unsere Musik einfliessen zu lassen. Selbstverständlich passen wir das je nach Publikum auch etwas an. Leise und melancholische Lieder gehören für mich eher in einen schönen Konzertsaal und weniger an ein Schwingfest. Ich finde unseren Mix cool. Wir machen grundsätzlich die Musik, die uns gefällt und überlegen gar nicht, welcher Stil das jetzt ist.

Wer schreibt die Songtexte bei euch?
Vater und ich schreiben die meisten Lieder. Mike hat auch angefangen, Kevin ebenso. Ausserdem werden uns viele Texte von externen Songwritern angeboten.

Sie schreiben und singen auch viel über Ihre Heimat. Auf dem aktuellen Album heisst sogar der Titelsong «Heimat». Was schätzen Sie denn so an Ihrem Land und besonders am Berner Oberland?
Ich bin keine Patriotin, aber ein Fan der Schweiz und ihrer Natur! Gerade das Berner Oberland ist für mich der schönste Fleck Erde. Die Verschiedenheit der Umgebung, diese verspielten Täler und Hügelzüge und dann dahinter die Berge. Alles ist so vollkommen! Nicht zu vergessen unsere super Produkte, feines Essen, gute Luft und eine schöne Sprache. Ich weiss, es kling kitschig, aber ich bin tatsächlich Fan von unserer Region. Es tut einfach gut, hier zu sein.

Sie sind Ende März 2020 zum ersten Mal Mutter geworden. Das zweite Baby ist unterwegs, wie Sie im Sommer auf Instagram verkündet haben. Herzliche Gratulation! Haben Sie schon eine musikalische Vision für die eigene Familie – so à la Oesch’s die Vierten?

Nein, dafür ist es viel zu früh (lacht).

Wie hat Sie das Muttersein verändert?
Ich habe eine neue Lockerheit entdeckt, was meine Karriere betrifft. Heute kann ich es leichter akzeptieren, wenn es nicht genau nach meinem Plan läuft. Ich sehe es nicht mehr so eng und bin mir bewusst, dass ich es nicht nur für mich, sondern für die Familie mache. Als Mutter lernt man viel über sich selbst. Ich bin eher der harmonische Typ und zum Beispiel in der Erziehung am Lernen, auch mal zu sagen «Stop, hier geht’s nicht weiter. Hier ist die rote Linie!» Was sich auch verändert hat, ist mein Blick für das Kleine. Robin sieht jedes Blümchen und kann dann lange verweilen und staunen. Ich habe die Natur vorher auch schon geliebt, aber mit meinem Sohn nehme ich mir mehr Zeit, die Details zu entdecken. Ich liebe das.

«Mit Robin hatte ich eine neue Aufgabe als Mami. Deshalb hielt sich das mit dem ‹Corona-Blues› in Grenzen.»

Wie sieht eine Woche bei der Familie Oesch aus?
Bei uns ist keine Woche, wie die andere. Wir planen also vorzu und sehr individuell und da kommen fast alle Konstellationen mal vor. Dadurch, dass Armin auch grösstenteils selbständig ist, haben wir je nach externem Job die Möglichkeit, unsere Rollen zu tauschen. Das ist für uns beide wie auch für Robin sehr wertvoll.

Sind Sie eine disziplinierte Person?
Sagen wir’s so: Ich bin gerne diszipliniert, weil es vieles erleichtert, aber es gelingt mir nicht immer.

Wie sind Sie mit der neuen Lebensrealität während der Corona-Pandemie umgegangen?
Die Geburt von Robin fiel in die Anfangszeit des Lockdowns. Zu Beginn war ich ehrlich gesagt fast froh um die Zwangspause, da ich schon etwas überfordert war mit all den Gefühlen und Anforderungen. Durch den Lockdown konnte ich mir die Zeit nehmen, als Mami für mich klarzukommen. So konnten wir uns in den ersten zwei Monaten in Ruhe einrichten und hatten nicht alles auf einmal. Danach haben wir wieder Dinge angepackt.

Melanie Oesch im Gespräch mit Hope-Redaktionsleiter Florian Wüthrich

Hatten Sie keinen «Corona-Blues»?
Mit Robin hatte ich eine neue Aufgabe als Mami. Deshalb hielt sich das mit dem «Corona-Blues» in Grenzen. Ich hatte gar keine Zeit, so viel darüber nachzudenken. Für meinen Vater war’s sicher schwieriger. Die Bühne ist für ihn das Grösste. Darauf zu verzichten, war hart für ihn. Wir haben deshalb möglichst viel zusammen Musik gemacht. Mit der Fünfpersonen-Regel konnten wir glücklicherweise immer noch als Familie proben. Seit dem Lockdown spielen wir jeden Freitag zusammen und entwickeln neue Ideen. So entstanden während Covid auch Livestream-Konzerte und andere Angebote. Das half uns, emotional nicht in ein Loch zu fallen. Dadurch, dass wir alle Konzerte bis im Herbst 2021 absagen mussten, konnten wir uns voll auf neue Projekte konzentrieren. Wir haben viele Songs geschrieben, Demos produziert usw.

Klingt nach einem sehr angenehmen Kontrastprogramm für «Oesch’s die Dritten»…
Wir haben versucht, das Beste daraus zu machen. Es war schon herausfordernd, dass die gesamte Konzertroutine verloren ging. Das ist wie bei einem Sportler, der keine Wettkämpfe mehr hat. Auch wir müssen unsere Muskeln trainieren – zum Beispiel die Stimme. Auch das Atemtraining ist sehr wichtig. Man braucht eine gute körperliche Grundkondition, um nach einer langen Anreise und wenig Schlaf zwei Stunden Konzert mit anschliessender Autogrammstunde durchzustehen.

Wir leben in Zeiten grosser Unsicherheiten und Spannungen. Haben Sie noch Hoffnung für diese Welt?
Auf jeden Fall. Es hängt von uns allen ab, was wir daraus machen. Klar, man fragt sich schon, wie sich das alles entwickeln wird. Ich habe auch Respekt, wenn ich einige Probleme in der heutigen Gesellschaft sehe. Aber wenn man ein paar Generationen zurückschaut, stellt man fest: Jede Generation kennt diese Ängste. Wir alle können etwas zu einer besseren Welt beitragen. Da macht schon eine positive Grundhaltung sehr viel aus. Ich meinte nicht, dass man über alles Schwierige hinwegsehen kann oder soll. Doch eine positive Einstellung zum Leben hilft auf jeden Fall.

«Ich glaube an das Gute und an ein gewisses Urvertrauen, das wir alle irgendwo in uns tragen, wenn wir darauf hören wollen.»

Sind Sie ein spirituell interessierter Mensch?
Kommt darauf an, wo man hier die Grenze zieht. Ich glaube an das Gute und an ein gewisses Urvertrauen, das wir alle irgendwo in uns tragen, wenn wir darauf hören wollen. In der Natur, besonders im Wald tanke ich viel Kraft. Wenn ich im Wald stehe – wow! –, da wirkt so vieles auf mich ein, dieses System, das in sich funktioniert. Das könnte ich stundenlang beobachten. Mir gefällt der Wald im Grossen wie im Kleinen. Nur schon das Moos ganz nah zu betrachten, finde ich überwältigend. Das hilft mir auch, zu relativieren und mich nicht zu wichtig zu nehmen. Dann sage ich oft zu mir: «Hey hallo, sei mal dankbar!» Diese Natur ist ein Geschenk. Und dass ich in der Schweiz leben darf, ist erst recht ein Grund dankbar zu sein!

Zur Webseite:
Oesch’s die Dritten

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